Jasmine Mansbridge: Postkarten aus einem anderen Reich
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Interviews mit Künstlern

Jasmine Mansbridge: Postkarten aus einem anderen Reich

In der komplizierten Geometrie von Jasmine Mansbridges Gemälden flüstert etwas Uraltes, etwas Himmlisches - und etwas zutiefst Menschliches.

Von Sophie Heatley | 29. Apr. 2025

Ihre Werke drängen sich nicht durch Spektakel oder Lautstärke in den Vordergrund. Stattdessen ziehen sie den Blick mit einer stillen, magnetischen Kraft an und laden dazu ein, kontemplative Räume zu betreten, in denen Form und Gefühl miteinander verschmelzen. Sie sind Tore zu „erdachten Welten“ und „inneren Landschaften“.

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Jasmine Mansbridge in ihrem Atelier | ©Armelle Habib

In ihrem Atelier in Hamilton, Australien, verfolgt Jasmine Mansbridge einen Schaffensprozess, der sowohl streng als auch respektvoll ist. Sie beginnt mit feinen Bleistiftlinien, die direkt auf das Leinen gezeichnet werden – eine bewusste Hommage an die materiellen Traditionen der indigenen Künstlergemeinschaften, unter denen sie aufgewachsen ist. Diese zarten Spuren bleiben unter den Schichten aus weißem Gesso und Farbe sichtbar und bewahren die fragile Essenz der menschlichen Hand. Mansbridge spricht über die fast mythische Spannung zwischen Künstler und Werk – darüber, was gewonnen und was geopfert wird, wenn das Werkzeug die Oberfläche berührt und die Schöpfung sich vom Schöpfer zu lösen beginnt. „Es ist tatsächlich ziemlich schmerzhaft, diese Linien zu überdecken“, reflektiert sie. „Also wollte ich die Linie bewahren, die menschliche Spur erhalten.“

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Jasmine Mansbridge, STATE OF THE WISE (2024, Acryl auf Leinwand, 160 x 160 x 4 cm)

Diese Treue zum Ursprung verleiht ihren architektonischen Geometrien eine unerwartete Zärtlichkeit. Ihre Werke, obwohl sorgfältig konstruiert, verlieren nie den Pulsschlag des menschlichen Geistes. Ihr visueller Ausdruck ist tief verwurzelt in sakralem Design, mathematischen Prinzipien und dem Wunsch, Ordnung behutsam aus dem Chaos heraus entstehen zu lassen – und dennoch wirken ihre Gemälde nie streng. Sie sind meditativ, organisch und von einem leisen Strahlen erfüllt. In Mansbridges Händen wird Geometrie nicht zur Starrheit, sondern zur Möglichkeit der Erlösung. „Menschen sind weiche Strukturen“, erklärt sie, „aber alles um uns herum ist von mathematischen, geometrischen Systemen getragen. Selbst das Energiefeld um uns ist strukturiert und gerastert.“ Für Mansbridge ist das Malen eine Methode, diese Dualitäten zu harmonisieren: das Organische und das Konstruierte, das Sichtbare und das Unsichtbare, das Rationale und das Intuitive.

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Jasmine Mansbridge, HERE BETWEEN POINT A AND B (2025, Acryl auf Leinwand, 70 x 53 x 4 cm)

Als zutiefst persönliche und spirituelle Künstlerin ist ihre Praxis in Ritualen, Achtsamkeit und einer tiefen Neugier auf das Unsichtbare verankert. Ihre Werke entspringen nicht nur der Vorstellungskraft, sondern auch ihren Träumen – Übertragungen aus einem „inneren Kosmos“, sichtbar gemacht durch Stunden bewusster Arbeit und einem surrealistischen Drang, das Unbewusste zu erkunden. Zeit ist für Mansbridge sowohl Medium als auch Material. Ihre Kompositionen entwickeln sich langsam, oft über Wochen hinweg, und einmal begonnen, können sie nicht mehr überarbeitet werden. „Das Design entsteht in einem Zug“, sagt sie. „Es gibt kaum Raum für Fehler.“ Diese hohe Präzision wird durch eine Philosophie der Präsenz ausgeglichen: präsent zu sein, das Entstehende zuzulassen und die Kontrolle loszulassen. „Diese Arbeit unterstützt mein Leben, und mein Leben unterstützt meine Arbeit. Wenn ich mich um meine Arbeit kümmere, wird sie sich um mich kümmern.“

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Jasmine Mansbridge, PATH TO THE HEART PORTAL (2025, Acryl auf Leinwand, 70 x 53 x 4 cm)

Ihre neueste Serie für Rise Art, beeinflusst von einer Reise nach Indien, entsteht als „eine Konstellation kontemplativer Räume“. „Die Postkarten kamen aus Indien. Dieses Land ist einfach so dicht, so farbenfroh und eindrucksvoll“, erinnert sie sich. „Alles entfaltet sich ständig organisch.“ Diese Werke rufen Erinnerungen an alte Observatorien oder sakrale Architekturen wach – Strukturen, die nicht nur dem menschlichen Körper Raum bieten, sondern den Blick auch gen Himmel richten, ins Unendliche.

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Jasmine Mansbridge in ihrem Atelier | ©Armelle Habib

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Mansbridges Vater Pfarrer war. In einer Zeit, in der der Begriff „spirituell“ oft verwässert oder kommerzialisiert wird, bietet Mansbridge etwas Erdigeres, Körperlicheres. Beeinflusst von der Überzeugung ihres Vaters, dass „alles, was wir nicht sehen können, genauso wertvoll ist wie das, was wir sehen“, nähert sie sich ihrem Schaffen mit Ehrfurcht – für das Geheimnis, den Prozess und die unsichtbaren Dimensionen des Lebens. Selbst das Aufkommen der Künstlichen Intelligenz entgeht ihrer Neugier nicht. „Meine Arbeit ist eher eine Frage als eine Antwort“, sagt sie. Ihre Werke laden zur Stille, zur Introspektion und zur Rückbesinnung auf das eigene Selbst ein. „Ich möchte, dass die Menschen sich fragen: Wer bist du? Und wohin gehst du?“

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Jasmine Mansbridge, HELD BY THE EVERLASTING EYE (2024, Acryl auf Leinwand, 180 x 220 x 4 cm)

Bemerkenswert ist auch Mansbridges nomadische Kindheit: Schon als Kind zog sie oft um und lebte in Haushalten mit nur wenigen Besitztümern. Besonders lebendig erinnert sie sich daran, keinen Fernseher gehabt zu haben – und wie sie andere Wege finden musste, ihre Fantasie anzuregen. Zu ihren prägendsten Erinnerungen gehört, auf einem Sofa zu liegen und in die Gemälde ihrer Großmutter zu versinken. „Meine Großmutter war eine talentierte Malerin“, erzählt sie. „Ihre Werke überlebten all unsere Umzüge und sind bis heute tief in meiner Erinnerung verankert.“ Diese Bilder – Szenen aus fernen Orten wie Hongkong – waren wie Postkarten aus anderen Welten. Das stille Betrachten dieser Werke prägte ihr Vorstellungsvermögen nachhaltig und legte den Grundstein für ihre Fähigkeit, neue Welten aus dem Innersten ihres Geistes hervorzuholen.

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Jasmine Mansbridge, STATE OF THE WISE (2024, Acryl auf Leinwand, 160 x 160 cm)

Offen für neue Wege und Entdeckungen zu bleiben, ist für Mansbridge nicht nur ein Thema ihrer Arbeit, sondern eine Lebenshaltung. Sie beschreibt sich selbst als „Gefäß“: offen, durchlässig und dem Akt des Schaffens vollkommen hingegeben. „Ich bin nur ein Kanal“, sagt sie, „damit die Menschen sich mit ihren eigenen Geschichten und ihrer eigenen Präsenz verbinden können.“ Ihre Kunst ist ein Angebot – eine stille Geste der Fürsorge, der Aufmerksamkeit und der Verbundenheit. Getragen von dem Wunsch, emotionale Zufluchtsorte zu schaffen, verwurzelt in eigenen Erfahrungen von Verlust und Trauer, richtet sie sich stets nach außen. „Mein eigentliches Ziel ist es, Werke zu schaffen, die beruhigen und von den gemeinsamen, oft unausgesprochenen emotionalen Strömungen erzählen, die uns verbinden.“

Statt Antworten zu liefern, lädt Mansbridge dazu ein, das Mysterium und den Prozess selbst zu umarmen – eine seltene und kraftvolle Haltung in einer Welt, die zunehmend auf schnelle Lösungen fixiert ist. Und vielleicht ist dies ihr größtes Geschenk: uns sanft daran zu erinnern, dass es immer mehr gibt, als das, was wir sehen können – und dass im Chaos der Dinge stets Raum für Wunder bleibt.

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