"Ich kann niemals in Stille zeichnen," erzählt mir Habib Hajallie. "Es bringt mich in einen Flow-Zustand. Musik trägt mich durch Phasen der Uninspiriertheit." Ich scherze halb, dass ich, wenn ich beim Schreiben Musik hören würde, versehentlich den Liedtext eintippen würde. Doch bei Hajallie findet die Musik tatsächlich ihren Weg in seine Arbeit – man spürt sie im Rhythmus und Tempo seiner Striche. Als Virtuose des Kugelschreibers komponiert er seine Porträts mit der Präzision eines Dirigenten. Da seine Technik viel Geduld, Zeit und Konzentration erfordert, ist es für ihn eine Erleichterung und zugleich ein essenzieller Bestandteil seines kreativen Prozesses, sich in der Musik zu verlieren. Das heißt jedoch nicht, dass er nicht ganz im Moment des Zeichnens präsent ist – vielmehr dient ihm die Musik als Zugang, um jeden Strich eines oft unnachgiebigen Mediums zu verkörpern. "Wenn ich den Druck meines Stiftes nicht genau kontrolliere, erreiche ich nicht das gewünschte Ergebnis – und Fehler kann ich nicht einfach rückgängig machen."
Musik ermöglicht es Hajallie auch, eine tiefere Verbindung zu den Epochen herzustellen, die er thematisiert, und zu den Figuren, die er zum Leben erweckt. Wenn er westafrikanische Persönlichkeiten darstellt, taucht er beispielsweise in Afrobeat oder klassische afrikanische Musik ein. "Diese Klänge haben eine unglaubliche Lebendigkeit. Sie geben mir Energie und helfen mir, das Wesen meiner Figuren einzufangen." Verschiedene Musikgenres begleiten unterschiedliche Themen, Maßstäbe und Dimensionen. Die Grime Series, die in der Ausstellung The Sound of Form gezeigt wird, überlagert bekannte Grime-Künstler mit U-Bahn-Karten von London – der Geburtsstadt des Genres. "Als ich JME zeichnete, habe ich viel seiner Musik gehört."

Die lebensechte Ähnlichkeit von Hajallies Figuren ist beeindruckend, doch ihre Detailgenauigkeit ist wohl das am wenigsten Interessante an ihnen. Für ihn ist Zeichnen weit mehr als nur figurative Darstellung – es ist ein Akt der historischen Wiederbelebung, eine Möglichkeit, unterrepräsentierte Stimmen zu erheben, sein Stift ein stilles Instrument des Widerstands und der Rückeroberung.
Mit Pragmatismus und einer „unromantischen“ Akribie beginnt Hajallie seinen kreativen Prozess, indem er antike Bücher sammelt – meist aus Antiquariaten, Wohltätigkeitsläden oder über eBay. "Ich habe Stapel philosophischer Bücher. Ich gehe sie einzeln durch und markiere Passagen, die mich besonders ansprechen." Aus diesem reichen Fundus an Zitaten, Drucken und Buchcovern folgt der nächste Schritt: Rekontextualisierung und Subversion. Indem er ethnozentrische Sichtweisen hinterfragt und interkulturelles Verständnis sowie Empathie fördert, überlagert er sowohl bekannte zeitgenössische Persönlichkeiten als auch Figuren aus der Antike – viele von ihnen aus der Geschichtsschreibung verdrängt – mit den Seiten problematischer kolonial geprägter Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts.

Durch die Gegenüberstellung dieser überholten, schädlichen Ideen zu Eugenik, Rasse und Misogynie mit modernen Themen bricht Hajallie die Narrative der Vergangenheit auf. Inspiriert von Künstlern wie Godfrey Donegal, der Archivmaterial nutzt, um Stereotypen über Schwarze Identitäten zu hinterfragen, und Barbara Walker, die mit Fundstücken auf Racial Profiling aufmerksam macht, entwickelt Hajallie ein Gespräch zwischen den Epochen. Dieser Dialog holt marginalisierte Figuren auf die Titelseiten zurück, „reinkarniert“ sie und verleiht ihnen eine erneuerte, selbstbestimmte Präsenz – ein wesentlicher Beitrag zur Diskussion um Minderheitenstimmen.

Diese Verbindung wird durch Hajallies Technik des Kreuzschraffierens und seine an die Renaissance angelehnten Methoden, die er mit einem einfachen Kugelschreiber umsetzt, noch verstärkt. Dadurch verbindet er die schlichte Funktionalität eines alltäglichen Schreibgeräts mit klassischen künstlerischen Techniken und schafft eine faszinierende Fusion von Alt und Neu, Hoch- und Alltagskunst.
"Ich habe schon immer mit Kugelschreibern gezeichnet. Zu Hause hatten wir Unmengen von Barclays- und Argos-Stiften. Ich liebe die Unmittelbarkeit dieses Werkzeugs – man muss es nicht anspitzen, nicht in Wasser tauchen. Anfangs war es einfach praktisch, aber mittlerweile ist genau diese Zugänglichkeit ein zentraler Teil meiner Arbeit geworden. Es ist mir wichtig und hat für mich eine nostalgische Bedeutung."
In einer Welt, die sich zunehmend in Richtung Technologie und einer „mehr-ist-mehr“-Mentalität bewegt, scheinen analoge Medien allmählich in Vergessenheit zu geraten. Doch Hajallie zeigt keinerlei Interesse daran, sein Medium zu wechseln – er ist überzeugt, dass es darin noch viel zu entdecken gibt. "Ich liebe das Zeichnen gerade weil es ein analoges Medium ist. Es gibt nichts Vergleichbares, wenn man mit seinen eigenen Händen etwas erschafft – es wird ein Teil von einem selbst."

Diese Haltung zeigt sich besonders in Hajallies „quasi-surrealistischen“ Selbstporträts, in denen er sich selbst karikiert, um Diskussionen über seine doppelte Herkunft – sierra-leonisch und libanesisch – anzustoßen. In diesen imaginären Szenarien und Erzählungen erkundet er die Komplexität seines Hintergrunds und damit auch größere Fragen zu Kultur und Identität. "Mir wurde bewusst, dass meine eigene Erfahrung ausreicht, um mich selbst als Modell zu nutzen und das auszudrücken, was ich mitteilen möchte."
Hajallies interdisziplinäre, zeitübergreifende Werke sind voller historischer und persönlicher Resonanz. Ihre durchdachte Konzeption und aufwendige Ausführung laden den Betrachter ein, in mehrschichtige, literarisch-musikalische Räume einzutauchen – eine Aufforderung, genau hinzuhören und die Geschichten wahrzunehmen, die allzu oft ignoriert oder absichtlich aus der Geschichtsschreibung entfernt wurden. Letztlich fungieren seine Porträts als Spiegel unserer eigenen Vorurteile und erinnern uns eindringlich daran, zwischen den Zeilen zu lesen:
Worum geht es hier wirklich? Und was entscheide ich mich zu übersehen – vielleicht sogar unbewusst zu unterstützen – indem ich nicht genauer hinschaue?
