Gina Parr: Tasten nach vorne, ein Kreis zurück – und immer den Mut, mutig zu sein
Gina Parr: Tasten nach vorne, ein Kreis zurück – und immer den Mut, mutig zu sein
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Interviews mit Künstlern

Gina Parr: Tasten nach vorne, ein Kreis zurück – und immer den Mut, mutig zu sein

Wir haben Gina Parr getroffen, um über ihre neuesten Werke und die Gedanken dahinter zu sprechen. Ihre Kunst beschreibt sie als ein „Potpourri aus Erlebtem“ – ein lebendiger Prozess, in dem sich Formen ausdehnen und wieder zusammenziehen. Es ist ein Loslassen der Dunkelheit, das Platz für Freude schafft. In ihren Arbeiten setzt sich Gina Parr mit den Spuren einer traumatischen Kindheit auseinander und verwandelt ihre Emotionen in kraftvolle, visuelle Ausdrucksformen.

Von Sophie Heatley | 10. Apr. 2025

Anselm Kiefer sagte einmal: „Kunst ist Sehnsucht. Man kommt nie an, aber man geht weiter – in der Hoffnung, es irgendwann zu tun.“ Für Gina Parr ist diese Sehnsucht zugleich Herausforderung und Berufung.

In ihrer Suche danach, das Unausgesprochene sichtbar zu machen und die Spannung zwischen dem, was man sieht, und dem, was man fühlt, zu erforschen, entstehen Bilder, die keine konkreten Orte oder Zeitpunkte festhalten. Stattdessen wirken sie wie instinktive Kartografien innerer Landschaften. Ihre dichten Texturen und ihre emotionale Tiefe tragen Erlebnisse in sich – ohne sie zu erklären oder zu rechtfertigen. Erinnerungsfetzen, Trauerechos und diese beinahe greifbare Schwere des Vermissens durchziehen ihre Werke.

Parrs künstlerischer Weg wurde mindestens genauso stark von ihrer Biografie wie von ihrer Praxis geprägt. Bevor sie zur Malerei fand, arbeitete sie 25 Jahre lang als Szenografin für das Fernsehen – sie erschuf fiktive Welten, in die andere eintauchten. Heute entwirft sie einen ganz anderen Raum: ihren eigenen. Kein Ort der Fiktion, aber auch keiner der klaren Wahrheit. „Es ist im Grunde der Versuch, den Raum zu gestalten, in dem ich als Kind geformt wurde“, sagt sie.

Gina Parr: Inching Forward, Circling Back, Always Daring to Be Brave
Gina Parr bei der Arbeit an einem Gemälde

Im Gespräch erzählt Gina sehr offen, wie stark ihr frühes Leben bis heute in ihre Arbeit hineinwirkt. Der Tod ihres Vaters mit 17 und die Sammelkrankheit ihrer Mutter sind prägende Erfahrungen geblieben. Sie erinnert sich an die Ruhe beim Angeln mit ihrem Vater – kurze, friedliche Auszeiten inmitten familiären Chaos’. Diese Spannung durchzieht auch ihre Malerei: ein sensibles Spiel zwischen Stille und innerem Aufruhr.

Gina Parr: Inching Forward, Circling Back, Always Daring to Be Brave
The nature of nothingness von Gina Parr (Öl, Holzkohle und Acryl auf Leinwand, 2024, 100 x 100 cm)

Beim Betrachten ihrer Bilder überkommt mich das Gefühl, dass sie sich gleichzeitig ausdehnen und zusammenziehen. Wie der Sog der Brandung an der Küste, wie die stille Sekunde zwischen Blitz und Donner. Es ist, als sei etwas geschehen, geschehe gerade oder stehe unmittelbar bevor. Diese Qualität spricht von der zirkulären Natur eines Traumas, das sich durch die Zeit schlängelt – stets nah, aber nie ganz greifbar. Für Gina ist dieser Bruch – das Leben vor und nach – zentral in ihrem Verständnis von Raum, sowohl körperlich als auch emotional. Ihre Malerei zeigt: Abwesenheit ist kein leerer Raum, sondern eine spürbare Präsenz. Sie klingt nach dem, was war – oder hätte sein können.

Gina Parr: Inching Forward, Circling Back, Always Daring to Be Brave
Atelierfarben und Texturen 

So wird ihr Werk zu einer Art Landkarte emotionaler Landschaften. Ein Durchwandern, um zu verstehen, zu verarbeiten, vielleicht sogar um in der Unklarheit Trost zu finden. Dabei gibt es eine spürbare Dualität. Gina spricht oft vom Ausbalancieren: von Werken, die zwischen Fülle und Klarheit schwingen. Genau in diesem Fluss, in dieser Bewegung, findet sie Sinn – auch wenn es manchmal unbequem wird.

Gina Parr: Inching Forward, Circling Back, Always Daring to Be Brave
Dialogue with my inner child von Gina Parr (Öl, Holzkohle und Acryl auf Leinwand, 2024, 60 x 60 cm)

Obwohl die Natur sie inspiriert, entstehen viele ihrer Zeichen und Muster aus dem Blick nach innen. „Ich habe das Bedürfnis, Bilder zu wiederholen, Muster zu schaffen“, erzählt sie. Vielleicht ist das auch Ausdruck eines menschlichen Impulses: sich den alten Wunden immer wieder zu nähern – nicht um sie zu heilen, sondern um ihnen nah zu bleiben. „Ich werde keine Lösung für die Erlebnisse meiner Kindheit finden. Aber ich bin jeden Tag aufs Neue getrieben, sie kreativ zu erforschen.“

Fotografie ist für Parr ein ganz natürlicher Teil ihrer Praxis geworden. Wenn sie unterwegs ist, übernimmt die Kamera die Rolle des Pinsels. „Ich schaue in Boote, auf Wände, auf spannende Oberflächen… alles, was die Stadt hergibt. Ich suche auf diesen Oberflächen nach Bildern. Es ist, als würde ich nach einem Raum suchen, der bereits existiert – geschaffen durch Wetter, Menschen, Graffiti oder durch ein zufälliges Zusammenspiel von allem.“

Gina Parr: Inching Forward, Circling Back, Always Daring to Be Brave
Rabat III (Fotografie in limitierter Auflage, 2024)

Diese Fotos sind keine bloßen Studien – sie sind wie Geschwister ihrer Gemälde. Sie entstehen aus dem gleichen Impuls: Bedeutung auf der Oberfläche zu finden, Erinnerung in der Materie. Jede Aufnahme trägt einen Moment des Zufalls in sich – als hätte man etwas leise Heiliges entdeckt. Gina liebt dieses Unvorhersehbare – sei es auf ihren fotografischen Streifzügen oder im Malprozess, wenn plötzlich etwas ganz Eigenes auftaucht.

„Ich denke oft an Picasso und dieses Zitat, dass wir unser ganzes Leben versuchen, wieder wie Kinder zu malen – frei und ungebremst.“ Auch wenn ihre Kunst aus Vergangenem schöpft, sehnt sich Gina danach, wieder zu dieser frischen, unmittelbaren Freude am Schaffen zurückzufinden. Es geht also nicht nur um Schmerz. „Ich habe eine wirklich schöne Beziehung zur Leinwand. Alles, was ich fühle, fließt da hinein. Ich bin ganz in diesem Raum, im Prozess. Und manchmal, mittendrin, habe ich das Gefühl: Es wird gut.“

Gina Parr: Inching Forward, Circling Back, Always Daring to Be Brave
Der Künstler vor einer großformatigen Leinwand

Jedes ihrer Werke ist eine Reise. Ein Ringen zwischen dem Drang nach Perfektion und dem Wunsch, etwas unbearbeitet stehen zu lassen. So entstehen Bilder, die lebendig wirken: voller Schichten, auf der Suche, im Schwebezustand zwischen Ordnung und Unruhe. „Malen ist für mich ein Kampf zwischen gezielter Kontrolle und Spontaneität“, sagt sie. „Ich glaube, ich suche bei jedem Bild nach einem Punkt, an dem es sich richtig anfühlt – visuell und emotional.“

Wenn Gina über ihre Arbeit spricht, kommt mir ein portugiesisches Wort in den Sinn: Saudade. Diese schwer zu beschreibende Sehnsucht nach etwas Verlorenem. Ihre Bilder kreisen nicht nur um Trauer oder Verlust, aber sie sind durchdrungen davon. Gleichzeitig leuchten sie an manchen Stellen auf – durch Momente der Erleichterung. „Es ist ein Gleichgewicht zwischen Sehnsucht und Liebe“, sagt sie. Ihre Werke suchen nicht nach einem Schluss. Sie bewegen sich – Schritt für Schritt nach vorne, manchmal im Kreis, aber immer mit dem Mut, weiterzugehen.

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